Lumen 10 - 30 MeterFichtenstamm40 m × 55 cm × 25 cm2008Foto: Minu Lee"Nur durch Grenzen werden meine Skulpturen sichtbar."
Die Skulpturen der Bildhauerin Lioba Abrell sind Hüllen aus Holz und Stein. Sie höhlt in einem langen und behutsamen Prozess das Material bis zur Grenze der Belastbarkeit aus, es bleiben nur die Ränder stehen.
Für ihre Examensarbeit sägt sie einen Baum, eine 30 m lange Fichte mit Schädlingsbefall, in Teile und höhlt ihn aus. Während ihrer Arbeit bröckelt Rinde ab, manchmal bricht das ausgehöhlte Material auf, ein Spalt bildet sich, die stabile Umrundung ist durchbrochen.
Die Skulpturen werden der Länge nach auf den Boden gestellt. Die Installation besteht aus den ausgehöhlten, aneinander gereihten Stücken des Baumstammes und ist, so platziert, ca. 40 m lang.
Die Gestalt der Fichte wird umgewandelt, obwohl sich ihre Grundform nicht wesentlich verändert. Das Neue ist der sichtbar gemachte Innenraum des Stammes, umgeben von seiner Außenschicht. Im Laufe der Zeit wird immer mehr Rinde abbröckeln, dann können sich Zeichnungen des Käferfraßes zeigen. Vielleicht gibt es Risse in der Umgrenzung. Naturmaterialen verändern sich, Verfall als natürlicher Prozess.
Zunächst für den Betrachter eine archaische Erfahrung – Leben, Arbeiten und Sterben in Verbindung mit Holz ist uns zutiefst präsent. Unzählig die Arbeiten aus Holz, die unser Leben begleiten; um nur einige zu erwähnen: Wiege, Möbel, Sarg, in jüngster Vergangenheit noch die Totenbretter im ländlichen Bereich.
Die Arbeit gehört in einen Zyklus, der »Lumina« genannt wird. Lumen ist lateinisch und bedeutet »Licht«, »Fenster«. Es ist die Maßeinheit für den Lichtstrom, der auf eine bestimmte Projektionsfläche trifft. In der Biologie ist »Lumen« die Bezeichnung für die innere oder – wörtlich übersetzt – »lichte« Weite des Innenraums von Hohlorganen. Ein Lumen findet sich beispielsweise im Inneren des Darms und der Blutgefäße von Säugetieren oder des Tracheensystems von Insekten. Bei Pflanzen bezeichnet Lumen den Hohlraum einer Leitzelle. Aus dem Lumen des Neuralrohrs entwickeln sich beim Menschen und den Säugetieren das Ventrikelsystem des Gehirns und der Zentralkanal des Rückenmarks.
Liegen die ausgehöhlten Holzteile aneinander, fließt Licht durch den Hohlraum, von beiden Enden ist der Innenraum des Baumes zu schauen. Die einzelnen Holzskulpturen werden jedoch auf den Boden gestellt, es entsteht Raum, umgeben von einer Grenze.
Ein leerer Raum kann bedrohlich sein, aber auch Raum schaffen für die Fülle, die es zu entdecken gibt. Doch kein Raum ohne Grenzen. Übertragen auf das menschliche Leben: Raum zwischen Geburt und Tod.
Anna Brenner
2008