Die runden und abgerundeten Steine aus dem Fluss Iller, die die Künstlerin, Lioba Abrell, für ihre Arbeit 100 X verwendet, sind das Ergebnis der Tätigkeit der Natur. Als Vagabunden in einem sich permanent verändernden Flussbett haben sie in Jahren und Jahrzehnten ihre scharfen Kanten als Bruchstein eingebüßt. Die stete Kraft der Natur hat sie geformt, deformiert oder verletzt. Die Künstlerin nimmt die Energetik der Natur auf und begibt sich auf den mühevollen Weg der Transformation von etwas Gegebenem in etwas Gemachtes. Sie legt Bohrungen in die Flusssteine an und ermöglicht dadurch einen Blick, der in die Materialität des Gesteins führt und das verschwiegene Innere offenbart. Die Lochsteine lassen Gedanken an Hühnergötter aufkommen, die man an den Stränden der Ost- und Nordsee finden kann. Steine mit herausgewaschenen Kreide- oder Fossilieneinlagerungen schützten im Volksglauben vor der fädenspinnenden und polternden Kikimora, die als Geist das Federvieh erschreckt. Löcher im Stein müssen uns Menschen irritieren, ist der Stein doch Symbol für Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit im Kontrast zur brüchigen Existenz des Menschen. Mag sein, dass die Rationalität der Aufklärung die Idee von sich verirrenden Geistern überlagert hat. Nichtsdestotrotz ist es die Leerstelle im Stein, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn die Künstlerin arbeitet nicht im klassisch bildhauerischen Sinne eine Form aus dem Rohmaterial heraus, sondern verlagert ihr skulpturales Arbeiten in das Innere des Steins. Mit dem Durchbohren der Steine und dem behutsamen Entfernen des Materials schafft sie Skulpturen ‚des Nichts‘, die erst durch ihre Ränder dem Betrachter sichtbar werden. Die Steine sind Zeugen im Fluss der Dinge, die beharrlich den Wassern trotzen, die an ihnen vorüberziehen. Die Löcher lassen das Licht in die Steine und erzeugen ein Band, der Strahl der Wissenden. Kathrin Rost und Dr. Martin Scharvogel